Rede von Angelika Stepken, Badischer Kunstverein, Karlsruhe
In ihrer Atelierwohnung stapeln sich ungezählte Bilder aus abzählbaren Jahren. Die Anzahl beeindruckt - jedes einzelne Werk noch unbesehen - als Indiz einer unnachgiebigen Auseinandersetzung mit Malerei, die sich tatsächlich in gemalten Bildern niederschlägt und weiterentwickelt. Dabei ist Sieglinde Bölz keine Malerin, die nur vor dem Bild arbeitet. Was sie sich seit Ende ihrer Akademiezeit (1978-84) erarbeitet hat, orientiert sich - Schritt um Schritt - an einer forschenden Logik, die biografische Vorgaben in den "Lauf" der Kunstgeschichte und die Konstanten einer weiter gefassten Kulturgeschichte einbringen will. Historisch bedeutsam - als Vor-Bilder - sind ihr dabei nicht nur die "Meister" der klassischen, abendländischen Moderne wie Dubuffet und Pollock, de Kooning, Chamberlain und Stella, sondern ebenso archetypische Zeichen der Geometrie wie Kreis, Quadrat und Stern oder Raumkonzepte wie die des Labyrinths, die sie in verschiedenen Kulturen verfolgt.
Die Ausstellung von Sieglinde Bölz im Badischen Kunstverein hat keinen chronologisch - dokumentarischen Charakter, indem sie etwa das Prozedere von Werk zu Werk oder verschiedene Arbeitsphasen vorstellen würde. Vielmehr ist die Auswahl der gezeigten Werke sehr pointiert: zu sehen sind einige gemalte Bilder aus zwei Werkzyklen der jüngsten Zeit sowie Videofilme aus den letzten acht Jahren, nebeneinander gezeigt auf drei Monitoren. Diesen Filmen wurde bislang - und vor allem in Kombination mit der Malerei - kaum öffentliche Beachtung zuteil (was überrascht, da Sieglinde Bölz zwischenzeitlich auch mit Zeichnungen, Skulpturen und Installationen in Erscheinung getreten ist). In der Gegenüberstellung, Parallele von gemalten Bildern mit dem "time based medium" des Videofilms offenbart sich indes ein wesentliches Motiv in und für Sieglinde Bölz künstlerische/r Praxis, nämlich die bildhafte Fixierung einer beweglichen Orientierung im Lauf der Zeit. Im Video läuft per se die Zeit und in den meisten Videos von Sieglinde Bölz durchkreuzen parallel zu diesem sukzessiven Zeitablauf aktive Läufer oder (Auto-, Fahrrad-, Motorrad-) Fahrer den Raum in einer undramatischen, andauernden, monotonen Bewegung. Die Kamera folgt diesen Bewegungen entweder ausschnitthaft von einem fixierten Standpunkt aus oder wie ein mechanischer Blick, der den Läufern und Fahrern synchron folgt, ihnen "angeheftet" ist.
Sieglinde Bölz' erster Videofilm entstand 1991/93 während eines New York Aufenthalts der Künstlerin. Vier Jahre zuvor hatte sie begonnen, sich intensiv mit dem Raumkonzept des Labyrinths als Metapher einer historischen, zentrierten und erweiterbaren Raumordnung zu beschäftigen. In New York wird die Stadt zum konkreten Labyrinth. Sieglinde Bölz zeichnet ihre Wege durch die Stadt auf, gleich einem Ariadne-Faden ohne Anfang und Ziel. Später werden diese schwarzweiß Aufnahmen "gerahmt" mit einem umlaufenden Dia-Fries ihrer gemalten Bilder. Die alltäglichen Bewegungen durch die Stadt werden so ästhetisiert im laufenden Bild, die gemalten Bilder zum rotierenden Koordinatenkreuz ihrer aufgezeichneten Bewegungen. In diesem New York Video - wie in allen anderen, späteren - wird Sieglinde Bölz selbst nie ansichtig. Die Kamera begleitet und speichert das Blickfeld ihrer physischen Erfahrung.
Sieglinde Bölz betitelt ihre Ausstellung im Kunstverein mit dem ambivalenten Begriff "Raumzeichen", der in beide Richtungen lesbar ist: entweder geht es um Raum, der schon bezeichnet ist, Zeichen trägt oder um Raum, der durch Zeichen erst konstituiert oder sichtbar wird. Die Zeichenebenen, die Sieglinde Bölz in ihren Bildern markiert, sind zwei deutlich unterschiedene: ein gestisch strukturiertes malerisches Feld, darüber ein in Modeulvariationen geometrisch struktuiertes einfarbiges Raster. Beide sind auf der Bildfläche als All Over Strukturen angelegt und konkurrieren miteinander, insofern als eine sich als maßgebliche Maske in den Vordergrund schiebt für eine räumliche Illusion im Bild.
So wie Sieglinde Bölz Bewegung in der Zeit erfährt als eine Übernahme / Überwindung von Normierungen, als Orientierung am eigenen Maß, so entwirft sie auf der Bildfläche Strukturen und Räume ohne Zentrierungen und maßgebliche Richtungen. Wichtig ist ihr, eine Balance von Bewegungen und Zeichen in der Zeit zu halten, ohne Druckverhältnisse zu negieren. Kurz gefasst heißt das bei Sieglinde Bölz: "action - brain - painting" im Bild und action brain riding / running im Video.