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... über die Bilder

Auszug aus der Einführungsrede, gehalten anlässlich der Ausstellungseröffnung von Sieglinde Bölz und Frank N. Hoffmann in der Gustav-Wolf-Galerie, Östringen, am 22.01.2000 von Dr. Antje Lechlei

In der europäischen Bildtradition gab es einen langjährigen Streit, der um die Vorherrschaft der Farbe und der Linie ging. Entfacht wurde dieser Streit in der Auseinandersetzung im 17. Jh. zwischen Peter Paul Rubens und Nicolas Poussin. Eine Neuauflage fand Anfang des 19. Jh. statt, diesmal in der Konkurrenz von Ingres, der die Linie in den Vordergrund stellte und Eugene Delacroix, für den die Wirkung der Farbe das Entscheidende war. Die Farbe galt in dieser Diskussion als rein dekoratives, auscolorierendes Element, während die Linie den Anspruch hatte, die Dinge sichtbar und greifbar real zu machen.

Im 20. Jahrhundert entzündete sich diese teilweise sehr heftig geführte Diskussion in der informellen und der konkreten Kunst der 50er Jahre. Die Auflösung dieser Kontroverse erleben wir bei den Arbeiten von Sieglinde Bölz. Die ausgestellten Werke beweisen, daß sogar innerhalb ein und desselben Bildes der Dialog zwischen Farbe und Form möglich werden kann. Bei den aktuellen Kompositionen von Sieglinde Bölz überlagern sich zwei Stile; über der offenen, raumbeweglichen und gestischen Bewegungsmalerei finden wir eine geometrisch strukturierte Fläche, die eine kristallin erstarrte Rhythmisierung der Bildoberfläche erzeugt. Dieser Bildfindung liegt ein langjähriger Entwicklungsprozeß zugrunde: Sieglinde Bölz begann in den 70er und frühen 80er Jahren mit Figurenbildern, deren Thema die Beziehung des Einzelnen zu seiner Umwelt, seine Vereinzelung, sein Versuch der Annäherung, seine existentiellen Ängste und sein Gefühl des "Ausgesetztseins" war. Anfang der 80er Jahre wurden ihre Farben lichter, es entstanden freie Farbstrukturen, die eine Loslösung vom Figürlichen betrieben. Bis Mitte der 80er Jahre stand für Sieglinde Bölz dann die gestische Malerei im Vordergrund, Assoziationen an Figürliches waren weitgehend getilgt, es ging um die Natur und um die dort stattfindenden Wachstumsbewegungen: Um Keimen, Knospen, Reifen und Wuchern. Sieglinde Bölz spricht hier von "Momentaufnahmen", welche durchaus mit inneren, eigenen Wachstumsbewegungen also mit Lebenswegen, mit der Reifung der eigenen Persönlichkeit, mit dem "über sich hinauswachsen" zu tun haben.

Eine grundsätzliche Richtungsänderung erfolgte um das Jahr 1988. Nun tauchte das Motiv des Labyrinthes auf, das den gestisch freien Malstil zunächst vollkommen ablöste. An die Stelle der Schilderung innerer Gefühlszustände, traten in den kommenden Jahren geometrisch-konstruktive Bilder, die eher Ausdruck einer Seelenstruktur waren. Der Besuch des kretischen Labyrinthes und die künstlerische Verarbeitung dieser Form war in dieser Hinsicht eine wichtige Station innerhalb des Werkes von Sieglinde Bölz. Das Labyrinth wird von ihr allerdings nicht als Irrgarten gesehen. Es ist vielmehr ein Symbol für Leben und Tod, es ist eine absolute Form, die das Universum, das Urprinzip, den eigenen Lebensweg und auch das persönliche Leben umreißt. Sieglinde Bölz reflektiert die labyrinthische Form ganz bewußt, es geht ihr um die ikonographische Bedutung, ihren kulturgeschichtlichen Inhalt, um ihr gesamtes Wesen.

Um 1995/96 lockerte sich die strenge Fokusierung auf diese eine dominierende geometrische Form und die gestische Bildprache tauchte als farbenglühende, expressiv gestaltete Hintergründe wieder auf. Nun haben sich die beiden zuvor einzeln erprobten Stile überlagert, es hat eine Stilmischung stattgefunden, welche die Ausdruckswerte aber nicht vermengt, sondern sie auf der Bildfläche parallel sichtbar werden läßt. Bei einigen dieser Werke blickt man wie durch ein schmiedeeisernes Gitter auf farbigen Untergründe, auf die Wachstumsbewegungen der Natur, die zum Ausdruck gebracht werden durch die Körperarbeit, die bei der Schöpfung der gestischen Untergründe zu leisten war. Die Farben, welche hier auftreten, besitzen für Sieglinde Bölz auch inhaltliche Bedeutung: "Rot bedeutet Feuer, Erde, Energie; Blau steht für Wasser und Luft, während Gelb Licht und Sonne symbolisieren". Die großen räumlichen Weiten der gestischen Malerei treten in einen Dialog mit den nach allen Seiten hin raumgreifenden geometrischen Mustern, welche ebenfalls nur durch das Bildformat begrenzt und beschnitten werden können. Sie sind Bewegungsraster, Raumstrukturen, welche auf ihre Weise dazu beitragen, die Erfahrung von Raum und Zeit bildhaft und spürbar zu machen.

Die ausgestellten Werke legen klar, daß Sieglinde Bölz inzwischen nicht mehr ausschließlich mit labyrinthischen Formen arbeitet. Mosaikstrukturen aus unterschiedlichen Kulturkreisen sind hinzugetreten und bilden, teilweise versatzstückhaft z.B. durch die Rautenform, ein zusammenhängendes System. Sieglinde Bölz erzeugt hier eine Systematisierung und Regelmäßigkeit, die vom Ausdruck her verbindlich ist, die aber dennoch nachvollziehbar, spielerisch leicht und eingängig bleibt. Zu diesen geometrischen Formen gibt es Schablonen, ihre Verteilung wird jedoch direkt bei der Arbeit an der Leinwand entschieden und ist nicht errechnet. Wir sehen hier Raummodelle, die aber nicht aus einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Raumberechnung hervorgegangen sind. Dennoch ist eine Notwendigkeit bei der Gestaltung eines von der reinen Form losgelösten Systems entstanden.

Die Fundstellen der seriell eingesetzten Strukturen sind vielfältig und verbinden unterschiedlichste Kulturkreise sowie biologische und damit allumfassenden Grundmuster jeglichen Lebens miteinander. Die Künstlerin speist ihre Inventionskraft beispielsweise aus der Betrachtung von Moscheen- und Synagogendekorationen, kretischen Wandmalereien, den Labyrinthstrukturen auf den Fußböden gotischer Kathedralen, aber eben auch aus biologischen Strukturen von Kristallen und chemischen Verbindungen. Die geomentrischen Formen waren zunächst ausschließlich in Schwarz gefärbt worden, da Schwarz die stärkste graphische Wertigkeit und Dichte besitzt. Seine Dominanz erlaubt es, durch die farbenglühende und leuchtende Malerei zu dringen. Als klar war, daß das angestrebte Prinzip funktioniert, traten auch helle Farben wie Gelb und Orange auf. Interessanterweise hat man bei einigen Arbeiten den Eindruck, als könnten hier Vorder- und Hintergrund umspringen, als hätten sich die gestisch gestalteten Hintergründe nach vorne durchgekämpft, als würden die geometrischen Formen nun die Grundfläche bilden. Möglicherweise deutet sich hier eine Stiländerung an. Sie sehen, es bleibt spannend, das Werk von Sieglinde Bölz weiterzuverfolgen.

Das Labyrinthkonzept

Sieglinde Bölz stellt in diesem Buch ihr Kunstkonzept dar. Sie reflektiert ihren künstlerisch kreativen Prozess und bezieht Stellung.

Titelblatt "Das Labyrinthkonzept"